Himmel und Erde waren noch nicht; allein der uranfängliche Ozean, das süße Wasser Apsu und das salzige Wasser Tiamat waren miteinander vermischt und enthielten Mummu, die Urform des Seins. Daraus entstanden Lachmu und Lachamu. Nach ihnen entstanden der Himmelsraum Anschar und der Erdraum Kischar. Aus Anschar ging sein Sohn Anu hervor, der große Gott des Himmels. Anu erzeugte Ea, der an Weisheit und Klugheit alle Götter überragte. Zuletzt entstand Enlil, der Herr der bewohnbaren Welt. Die Götter versuchten Apsu zu überwältigen. Da beriet Apsu sich mit Mummu, und sie gingen beide zu Tiamat, sie zu bitten, ihnen gegen ihre göttlichen Kinder beizustehen. Da beschloß Tiamat, zusammen mit Apsu und Mummu die göttlichen Kinder zu vernichten*. Aber Ea, der alles weiß, sprach einige Zauberformeln, und Tiamat und Apsu wurden mit Schwäche geschlagen. Dann erzeugte Ea mit Lachamu den großen Gotthelden Marduk, der vier Augen und vier Ohren hat, damit er alles sehe und höre.

Der Gott Kingu, inzwischen Tiamats Gemahl, rief Tiamat zur Rache auf. Da sammelte sie ihre Heerscharen; elf schrecklich Ungeheuer (Drachen) rief sie zum Kampfe auf und gab Kingu den Oberbefehl. Ea führte die Götter an, aber er war seinen Feinden nicht gewachsen. Ein heftiger Kampf tobte. Ea und die Götter wurden besiegt und mußten weichen, und als Anschar Ea aufforderte weiterzukämpfen, weigerte sich Ea, den Kampf erneut aufzunehmen. Da befahl Anschar seinem Sohne Anu, die Götter gegern Tiamats grausiges Heer anzuführen, aber als Anu die wüste Horde der Feinde erblickte, befiel ihn heftige Angst, und er bat, ihn seines Auftrags zu entheben. Die führerlosen Götter begaben sich nun wiederum zu Ea und legten ihm nahe seinen Sohn Marduk zu überreden, den Kampf zu wagen und zu befehligen. Marduk war zum Kampfe bereit, verlangte aber einen hohen Preis. Er wollte im Saal der Schicksalsbeschlüsse, in dem die Götter jährlich über die Geschicke der Welt entschieden, vor allem die Würde des obersten Gottes haben, damit sein Wort und sein Gebot im Himmel und auf Erden, für Götter und Menschen Geltung besitze. Anschar rief alle Götter im Saal der Schicksalsbeschlüsse zusammen, ließ ein großes Mahl bereiten und wollte sie veranlassen Marduks Bedingungen in Anbetracht der großen Gefahr anzunehmen. Doch die Götter zauderten, da sie Marduk nicht für fähig hielten zu regieren.

Schließlich forderten die Götter Marduk auf, einen Beweis dafür zu liefern, daß er genügend Macht und Kraft zur Herrschaft über die Götter besitze. Sie legten ein Kleid vor ihn und forderten ihn auf, das Kleid zu vernichten und neu erstehen zu lassen. Da sprach Marduk sein machtvolles Wort und im gleichen Moment verging das Kleid. Wiederum sprach Marduk sein machtvolles Wort und das Kleid erstand neu. Als die Götter das sahen, riefen sie: „So sei Marduk unser Herr!” Marduk erhielt von den Göttern das Zepter, den Thronsessel und das Beil zum Zeichen seiner Macht und daß er die darin liegende Kraft gebrauche. Er schuf sich Bogen und Speere, Keulen und Köcher, den Blitz, ein Netz, um Tiamat darin zu fangen, die Winde und Orkane, die Wasserflut und den Streitwagen. Dann erhob er sich in furchterregender Gestalt und hatte ein Kraut in der Hand, das Tiamats Gift unschädlich machen konnte.

Als Tiamats Horden Marduks Waffen erblickten, befiel sie furchtbare Angst. Tiamat rief eine Zauberformel und schmähte Marduk mit höhnender Rede; der aber erfaßte den Zyklon, seine Waffe und als Tiamat mit weitaufgerissenem Rachen ihre Zauberformel ausstieß, ließ Marduk ihr den Sturmwind in den Rachen fahren, so daß sie das Maul nimmer zu schließen vermochte, blähte ihr den Leib mit schweren Stürmen und schoß ihr einen Pfeil in den Schlund, der ihr Inneres zerfetzte und ihr Herz mitten durchbohrte. Dann fesselte Marduk Tiamat, warf sie nieder und stieg als Sieger auf ihren Körper.

Tiamats Ungeheuer erschraken gewaltig und ergriffen die Flucht, doch Marduk holte sie ein, zerbrach ihre Waffen und fing sie in seinem Netz. Danach spaltete er Tiamats Leib in zwei Hälften und erschuf daraus Himmel und Erde. Als Gegenstück des Himmels erschuf er den Ozean. So erschuf Marduk Himmel, Erde und Meer, über die er drei Götter setzte: Anu erhielt den Himmel, Enlil die Erde und Ea das Meer. Weiter erschuf und ordnete er die Sternbilder, öffnete Tore zu beiden Seiten des Himmels, durch welche die Sonne auf - und untergeht und bestimmte die Gestalten und Zeiten des Mondes. Als die Götter sich bei ihm beklagten, es gebe keine Wesen die ihnen huldigten und Opfer darbrächten, erschuf er Lullu, den Menschen. Er schuf ihn auf Eas Rat hin aus dem Blut Kingus, der Tiamat zum Aufruhr angestachelt hatte.

Auch teilte er die Götter in zwei Gruppen, die himmlischen und die irdischen, und sie sollten alle gleichermaßen von den Menschen geehrt werden. Die Götter der unteren Welt bauten Marduk aus Dankbarkeit einen Tempel, zu Babel, wie Marduk bestimmt hatte und seine Spitze ragte zum Himmel. Da sprach Marduk zu den Göttern: „Dies ist Babel, das Tor Gottes, der Ort unserer Wohnung!”


aus: Mythen vom Anfang der Welt
Hrsg. Susanne Hansen
 

*Per E-mail wurde mir mitgeteilt, daß der Text an dieser Stelle einen gravierenden Fehler aufweist (ich schätze eine 100%ige Übersetzung wird es kaum geben können) allerdings möchte ich an dieser Stelle die grobe Sinnentstellung, die Tiamat in ein viel zu schlechtes Bild bringt, etwas gerade rücken.
Im Text oben steht : "Da beschloß Tiamat, zusammen mit Apsu und Mummu die göttlichen Kinder zu vernichten." - das ist so nicht richtig, denn Tiamat lehnte es zunächst entschieden ab, ihre Kinder zu vernichten. Sie sann erst dann auf Rache, als Ea Apsu tötete.
Dank an Ea für deine Mail.

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